Einweihung der Wasserstoff-Pilotanlage bei der Hensoldt AG in Wellsee
Zwei Standard-20-Fuß-Schiffs-container stehen unscheinbar auf dem Gelände der Firma Hensoldt im Gewerbegebiet Kiel-Wellsee. Nur ein Monitor an der Stirnseite deutet darauf hin, dass sich im Innern Hightech verbirgt – und zwar vom Feinsten.
Am 31. Mai 2023 lief die 700 m² große Photovoltaikanlage bei strahlendem Sonnenschein zur Höchstform auf. Kann es eine bessere Gelegenheit geben, um vor illustrem Publikum eine neuartige Anlage in Betrieb zu setzen, mit der die wasserstoffbasierte Zukunft der Energieversorgung eingeläutet werden soll?
Wir alle haben es schon oft gehört: Der Wasserstofftechnologie gehört die Zukunft. Seit der jüngsten Energie- und Klimakrise ist uns allen – und auch der Industrie – bewusst geworden, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Doch so wünschenswert die Entwicklung erneuerbarer Energien ist, zwischen Wunsch und Realität klafft noch eine gewaltige Lücke. Entsprechend knacken die Kosten der in Kiel vorgestellten Pilotanlage die Marke von einer Million Euro.
Das Prinzip der Wasserstoffgewinnung und -speicherung und die Brennstoffzellentechnik sind seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bekannt. Doch die Fördertöpfe sprudelten bis vor Kurzem vor allem für die Kernenergie.
Erst billig verfügbarer Strom aus modernen Photovoltaikanlagen oder aus anderen regenerativen Energiequellen, Hochleistungs-Akkus und Hochdruckspeicher sowie ausgeklügelte Steuerungssoftware machen daraus ein rundes Gesamtprodukt, wie es auf dem Hensoldt-Gelände in der Bunsenstraße vorgestellt wurde.
Das Konzept wurde vom französischen Tochterunternehmen entwickelt und kommt am Kieler Standort erstmals zum Einsatz. Die Anlage kam ohne Fördergeld aus. Aber was kann die Anlage?
Power-Bank im Container-Format
In dem Container verbergen sich ein kleines, fast lautloses Kraftwerk und eine Wasserstoffproduktion. Das Ganze können wir uns wie eine überdimensionale Power-Bank vorstellen. Elektrischer Strom aus erneuerbaren Quellen – hier Solarzellen – fließt hinein. Im Innern entscheidet eine intelligente Software, was damit am besten angestellt werden kann. Besonders verlustarm kann der Strom in den integrierten Hochleistungs-Akkus gespeichert werden. Diese sind allerdings sehr teuer, sind ökologisch derzeit noch höchst problematisch und haben nur begrenzte Kapazität. Spätestens wenn sie voll sind, schaltet die Elektronik auf Wasserstoffproduktion um. Wasserstoff kann in den bis zu vier angegliederten Druckgastanks bei maximal 500 bar in großer Menge gespeichert werden, sodass sich der Energiespeicher dadurch verfünffacht. Wenn das nicht ausreicht, kommt der zweite Container ins Spiel. Er fasst 57 Druckgastanks.
Dieses Gespann speichert bereits gut das 60-Fache im Vergleich zu den Akkus. Je nach Bedarf und bereitstehendem Ökostrom ist eine solche Anlage fast beliebig ausbaufähig.
Die Power-Bank kann also einerseits viel elektrische Energie einspeichern, zum anderen kann sie auch liefern, nämlich bei Bedarf Wasserstoff oder Strom oder beides. Der Strom kommt jederzeit sofort verfügbar aus den Akkus und (mit einigen Vorlaufminuten) aus der Brennstoffzelle, die den Wasserstoff in Strom und klares Wasser zurückverwandelt – alles völlig klimaneutral.
Und wenn – wie bei Hensoldt – in der eigenen Produktion Wasserstoff benötigt wird, so wird er in dieser Anlage ständig mittels Solarenergie vom Dach erzeugt. Bei Lastspitzen kann die Power-Bank den Strom gleichzeitig aus Akkus und Brennstoffzellen liefern.
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten
Modulare Anlagen zur Energiespeicherung und Wasserstoffgewinnung wie diese lassen ein sehr breites Einsatzspektrum zu. Zunächst: Sie sind in einem herkömmlichen 20-Fuß-Schiffscontainer untergebracht und können mit allen Verkehrsmitteln an jeden Ort der Welt transportiert werden. Der Flugzeugtransport steht aber noch unter Genehmigungsvorbehalt.
Solche Anlagen können weitestgehend autonom betrieben werden und Inseln oder Krankenhäuser, Flüchtlingslager, entlegene Dörfer,
Telekommunikationseinrichtungen, Nationalparks, Antennen oder auch Bergbaugebiete mit Strom und Wasserstoff versorgen. Auch an den militärischen Einsatz ist gedacht – schließlich ist Hensoldt vornehmlich im Rüstungsbereich unterwegs. So können Militärcamps, Radarstationen und andere Anlagen, die nicht mit nur ganz wenig Solarstrom auskommen, auf diese Weise betrieben werden. Gleichzeitig steht Wasserstoff für Militärfahrzeuge als Treibstoff zur Verfügung.
Der Einsatz von Wasserstoff im Mobilitätsbereich ist ebenfalls möglich. Hier kommen insbesondere Schiffe, Flugverkehr, LKW und Eisenbahnen infrage. Aber gerade bei Bahnen und im Straßenverkehr deutet vieles darauf hin, dass die Akkutechnik in den meisten Fällen das Rennen machen wird, da der erzeugte Wasserstoff zu wertvoll ist.
Nicht zuletzt kann der Einsatz der Energiecontainer aber auch helfen, Schwankungen im Stromnetz auszugleichen. Die Anlagen funktionieren unter fast allen denkbaren Umweltsituationen. Sie benötigen nur Strom und etwas Wasser.
Am eigenen Standort im Echtbetrieb
Die Firma Hensoldt kann bereits heute mit einer Anlage bei günstiger Sonneneinstrahlung den gesamten Kieler Standort mit Strom versorgen. Insgesamt sind bis jetzt 60 % Energieautonomie erreicht. Personalvorstand Dr. Lars Immisch hat aber bereits die nächste Wegmarke gesetzt: „Bis 2035 wollen wir komplett CO2-neutral sein.“ JM