Zwischen 1940 und 1950 bestimmten acht Lager mit Behelfsheimen das Bild im Kieler Süden. In seinem Buch „Baracken als neue Heimat. Ausgebombte und Flüchtlinge am Russee und am Drachensee“ macht Robert Bartels diese historische Realität wieder publik.
„Stellen Sie sich das vor: Ein einziger Raum diente über dreißig Personen zum Schlafen und Wohnen. Man spannte Decken zwischen die Familien, um Privatsphäre zu bieten“, erzählt Robert Bartels und setzt nach: „Wenn man das überhaupt Privatsphäre nennen kann.“
Dieses Szenario ist schwer vorstellbar beim Blick über die heutigen Einfamilienhäuser am Vieburger Gehölz oder die städtischen Wohnhäuser in Russee. Weder eine Gedenktafel oder ein Straßenname erinnern an die Baracken, die teilweise ein Vierteljahrhundert hier standen. Alleine an der Rendsburger Landstraße befanden sich fünf Lager mit sogenannten Behelfsheimen. Sie wurden ab 1941 für Kieler gebaut, die in den Luftangriffen ihr Zuhause verloren hatten. Mit dem anwachsenden Flüchtlingsstrom aus Ostdeutschland wurden in den Behelfsheimen mehr und mehr Flüchtlinge untergebracht. Für viele wurde die Notunterkunft zur neuen Heimat.
„Dieses Kapitel wird in der Geschichte Kiels komplett ausgeblendet“, urteilt Bartels und erklärt damit auch sein Anliegen für das Buch. „Die Vergangenheit muss eine Stimme erhalten, um für die nächsten Generationen erlebbar zu bleiben.“
Bartels versteht sich dabei als Berichterstatter, der die Bühne seinen Zeitzeuginnen überlässt. Ihre privaten Bilder und wörtlich abgedruckten Berichte bilden den lebendigen Kern des Buches und werden durch Recherchen des Autors ergänzt.
Das Gründungsmitglied des Geschichtskreises „Rund um den Russee“ stieß auf die Flüchtlingslager in Russee. Das Interesse war geweckt. Zwei Jahre dauerten Nachforschungen und die Bearbeitung für sein Buch. „Eine Geschichte führt zur nächsten, ein Zeitzeuge kennt den anderen. Das Thema wird so immer tiefer.“
Für Bartels gehören zur Geschichte der Behelfsheime auch die persönlichen Erfahrungen der Flucht als Vorgeschichte des Lagerlebens in Kiel. Im Russeer Dorfbuch fand er Aufsätze von Schulkindern über ihre Flucht, auf eindrückliche Weise beschreiben sie ein traumatisches Schicksal, das Millionen von Menschen zu dieser Zeit teilten.
Auch die Vorgeschichte des Wohnlagers Rendsburger Landstraße 243 war dem Autor wichtig. Im „Arbeits- und Erziehungslager Nordmark“ wurden zwischen 1944 und 1945 über 3.000 Menschen inhaftiert, bevor es nach dem Kriegsende für deutsche Flüchtlinge als Behelfsheim genutzt wurde.
Neben den dunklen Kapiteln der Flucht sowie der Armut und Not in den Wohnlagern überraschten Bartels die positiven Erinnerungen der Lagerfrauen und Kinder. „Nicht wenige der Zeitzeuginnen beschrieben diesen Lebensabschnitt als glückliche Kindheit, umgeben von zahlreichen anderen Kindern“, erzählt Bartels. „Diese Lagergemeinschaft wurde nicht selten mit Wehmut verlassen und besteht in manchen Fällen bis heute.“
Für sein nächstes Buch hat sich Bartels die Zeit des Nationalsozialismus in Kiel vorgenommen, also die Jahre zwischen 1933 und 1945. Alltagsberichte aus erster Hand sollen dabei erneut eine große Rolle spielen. Robert Bartels lädt daher alle Zeitzeugen ein, ihre Erfahrungen mit ihm zu teilen.
Sein aktuelles Buch ist für 15 Euro bei Zeitschriften Zimmermann in der Rendsburger Landstraße 359 erhältlich.
(Text: Frahm; Foto: Weilnböck)