Ortsbeirat Hassee/Vieburg tagte am Gedenkort des Nazi-Terrors
Kaum jemand aus dem Kieler Süden hat eine Vorstellung, wie riesig das Gelände war, auf dem die SS seit Mitte 1944 ein Gefangenenlager betrieben hat, einzig zu dem Zweck errichtet, Menschen zu quälen, zu demütigen und zu ermorden.
Bis in die jüngste Vergangenheit wurde der beschönigende Nazi-Begriff „Arbeitserziehungslager Nordmark“ für das Gelände an der Rendsburger Landstraße zwischen Seekoppelweg und dem Russee weiterverwendet.
Eine kritische Äußerung, eine Denunziation reichten damals aus, hierhin verfrachtet zu werden und der Misshandlung durch Nazi-Schergen ausgesetzt zu sein. Mindestens 578 Menschen, größtenteils sowjetische und polnische Zwangsarbeiter, zahlten mit ihrem Leben. Die restlose Aufklärung der Verbrechen ist schwierig, da die SS kurz vor Kriegsende umfangreiches Beweismaterial vernichten konnte. So viel scheint aber gesichert: Als es vorbei war, hatten es die Mörder oft nicht weit nach Hause und lebten unbehelligt noch Jahrzehnte unter uns. Das könnte auch die erst spät und dann auch nur zögerlich begonnene Aufarbeitung dieses finsteren Kapitels Kieler Geschichte – nämlich erst über 35 Jahre nach Kriegsende – erklären helfen.
Der Ortsbeirat verlegte die Juli-Sitzung als Freiluftveranstaltung an diesen Gedenkort, um den Umgang mit dem Andenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus im Kieler Süden zu beleuchten und aktuelle Vorhaben und Ideen zu diskutieren.
Der Ortsbeirat ist sich einig, dass vor allem angesichts des Erstarkens rechtsextremer Tendenzen intensiver auf die Folgen des leichtfertigen Umgangs mit der Demokratie hingewiesen werden muss. Schließlich hat unsere Eltern- und Großeltern-Generation bereits einschlägige Erfahrungen machen müssen. Und es wäre sträflich, nicht aus Schaden klug zu werden.
Acht einzelne Schicksale von Opfern des SS-Gefangenenlagers wurden von den Ortsbeiratsmitgliedern zur Veranschaulichung der Nazi-Verbrechen verlesen, gefolgt von einer Schweigeminute. Nach dem Willen des Ortsbeirats soll an einer verbesserten Erinnerungskultur gearbeitet werden, die auch die Kieler Unternehmen einbezieht, die maßgeblichen Nutzen von der Nazi-Zwangsarbeit hatten.
Spaziergang zum Gedenken
In der Michaeliskirche ist eine Arbeitsgruppe Demokratie angesiedelt, die einen Quartierspaziergang vorbereiten möchte, der die Gedenkorte miteinander verbindet. Wussten Sie z. B., dass es im Kieler Süden seit 1936 eine SA-Siedlung gab – die Straßen nach Nazi-„Märtyrern“ benannt? Erst die englische Besatzungsverwaltung beendete das Unwesen und führte unverfängliche Namen ein, wie z. B. „Heckenrosenweg“. Oder wer weiß, wo sich hier noch Bunker befinden?
Nach nur einer Stunde beendete ein gewittriger Starkregen die Ortsbeiratssitzung. Die nächste findet am 15. September um 19.30 Uhr statt. Dann wieder unter Dach. Die Lokalität wird unter www.kiel.de bekannt gegeben. JM