Wer in den Urlaub fährt, freut sich auf eine Auszeit vom Alltag. Endlich einmal wieder die Seele baumeln lassen, sich selbst mit schönen Ausflügen und leckerem Essen verwöhnen, Kultur erleben oder auch mal gemütlich nichts tun und den eigenen Gedanken nachhängen.
COVID-19 hat das gesellschaftliche und kulturelle Leben ordentlich auf den Kopf gestellt. Urlaubsreisen werden nur zaghaft angetreten. Ältere Menschen gehören zur Risikogruppe. Wenn dazu noch eine demenzielle Erkrankung vorliegt, scheint Verreisen für Betroffene und Angehörige oft unerreichbar zu sein. Da stellt sich die Frage: Ist ein Urlaub überhaupt möglich?
Menschen mit einer Pflegebedürftigkeit kommen leider, ebenso wie ihre pflegenden Angehörigen, nur selten in den Genuss eines schönen Urlaubs. Hürden wie eine fehlende Ausstattung für pflegebedürftige Menschen in Hotels (z. B. Pflegebäder), Sorge vor Verurteilung von anderen Urlaubern und Stress bei der Organisation und Umsetzung der Auszeit hindern Familien und Paare daran, in den Urlaub zu fahren.
Gerade bei einer hohen physischen und psychischen Belastung, die eine Pflegesituation mit sich bringt, kann ein Tapetenwechsel heilsam sein. Die Beziehung zwischen der pflegebedürftigen und pflegenden Person erfährt Abwechslung und schöne Zeiten. Gesellschaftliche Teilhabe wird ermöglicht. Die Urlauber können sich eine Auszeit vom Alltagsstress nehmen und neue Kraft schöpfen.
Seit fast zwanzig Jahren organisiert die Alzheimer-Gesellschaft Schleswig-Holstein betreute Urlaube für Menschen mit Demenz und Angehörige. Dadurch sollen sowohl betroffene Menschen als auch Pflegepersonen auf ihre Kosten kommen. Eine bunte Mischung aus getrennten Ausflügen / Auszeiten und gemeinsamen Aktivitäten schenkt den Urlaubern schöne und erholsame Tage.
Doch in diesem Jahr mussten die Organisatoren der voll ausgebuchten Urlaubsreise nach Plau am See bangen, ob diese aufgrund der coronabedingten Auflagen überhaupt stattfinden kann. Die Koordinatorin der Urlaubsreise berichtete von den Planungsherausforderungen: „Es war sehr viel, an was alles gedacht werden musste. Wir mussten Gruppen bilden, alle einen Mund-Nasen-Schutz tragen und vieles mehr“, so Dagmar Wüstenberg. „Bis zuletzt konnte ich nicht sicher sein, ob das Museum wirklich geöffnet hat, die Eisdiele uns mit Mindestabstand unterbringen kann und ob es allen Gästen gelingt, die Hygieneschutzregeln etwa bei den Mahlzeiten einzu-halten.“
Kurzzeitig fragten sich die Mitarbeitenden der Alzheimer-Gesellschaft, ob durch all die strengen Regeln überhaupt ein Urlaubsfeeling vermittelt werden kann. Der enge Kontakt zu den Angehörigen während der Urlaubsvorbereitungen bestärkte sie jedoch, weiter zu planen und eine schöne Woche für alle zu konzipieren.
Kein einziger Urlaubsteilnehmer hatte Bedenken, die Reise anzutreten. Im Gegenteil: Statt großer Sorgen kamen eher Rückmeldungen der riesigen Vorfreude. Die Urlauber konnten die Reise nach dem wochenlangen Lockdown kaum erwarten. „Uns war von Anfang an klar, dass wir den Urlaub antreten werden. Wir dachten uns: Lieber ein schönes Leben mit Erlebnissen, anstatt auf bessere Zeiten zu warten. Den Urlaub hatten wir auch dringend nötig“, sagt eine pflegende Angehörige.
Umso erfreulicher war die Botschaft, dass die Reise mit sieben Paaren stattfinden kann. Bereits am ersten Tag konnten die Teilnehmer bei den Reisebegleitern ihr Herz ausschütten über ihre Sorgen, Ängste und Vorkommnisse der vergangenen, herausfordernden Wochen
der Ungewissheit und Haltlosigkeit. Menschen mit Demenz freuten sich nach Wochen des Rückzugs und der Isolation über lang ersehnte Stunden in Gesellschaft.
„Ich bin immer gerne verreist. Außerdem gehe ich jede Woche zum Tanzcafé. Doch in letzter Zeit waren wir nur in unserer Wohnung. Es war furchtbar langweilig. Auch die Bewegung hat mir sehr gefehlt, endlich ist mal wieder etwas los“, berichtet ein Mann mit Demenz.
Begleitet durch eine Ergotherapeutin und zwei Ehrenamtliche, genoss die Gruppe der Betroffenen gemeinsame Zeit bei Spaziergängen an den See, Erinnerungsrunden über frühere Urlaube oder auch kreative Stunden mit Seidenmalerei. Angehörige erhielten im geschützten Rahmen die Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu stärken.
Bei einem Ausflug in den historischen Stadtkern oder dem Besuch eines Imkers konnten die pflegenden Angehörigen Durchatmen, Entspannen, sich unterhalten und gemeinsam lachen. Gemeinsame Aktivitäten mit allen Paaren halfen dabei, sich in bekannter und geselliger Runde fallen zu lassen.
Keine Tabuthemen oder Scham hinderten im Umgang. So machte auch das Kegeln, Eis-Essen am Hafen und Schifffahren wieder Spaß. Die Reise hatte sich – trotz ungewohnter Planungsherausforderungen und veränderter Urlaubsumstände – auf ganzer Linie gelohnt.
„Es war schön zu sehen, wie rücksichtsvoll alle miteinander umgingen. Die Reisenden gaben sich liebevoll gegenseitig Tipps, erinnerten sich gemeinsam an das Tragen einer Maske und blickten am Ende der Woche auf viele schöne Tage zurück“, berichtet Dagmar Wüstenberg. „Als ich in glückliche und entspannte Gesichter blickte, wusste ich: Der Aufwand hat sich gelohnt! Ich freue mich schon auf die nächste Reise nach Grömitz im September und wünsche mir sehr, dass bis dahin weitere Lockerungen möglich sind. Falls nicht, bekommen wir sicherlich trotzdem eine weitere schöne Reise hin.“
Wer ebenfalls an einer Reise für Menschen mit Demenz und pflegende Angehörige interessiert ist, kann sich an die Alzheimer-Gesellschaft Schleswig-Holstein wenden. 2020 sind bereits alle Plätze ausgebucht, 2021 wird es weitere Reisen geben. Kontakt: info@alzheimer-sh.de oder 040 / 30857987.
Foto: ©Sabrina Czechorowski