Mühsame Suche nach dem richtigen Weg

Ein Wanderweg im Dornröschenschlaf: Der Rundweg R1 führt rund um Kiel und so auch durch den Kieler Süden. Doch er ist fast vergessen. Wir begeben uns auf Erkundungstour und überprüfen, was noch da ist und wie es weitergeht.

Rückblende: Otto Flagge war 1987-1999 Stadtbaurat in Kiel. In seine Zeit fällt nicht nur der Bau der viel beachteten und noch mehr diskutierten Hörnbrücke, auch wurden in Kiel maßgebliche städtebauliche Akzente gesetzt. Damals wurde aber auch ein Rad- und Wanderweg rund um das ganze Stadtgebiet vollendet. Nur wenige Kieler wissen noch davon. Aber der Weg hätte mehr Beachtung verdient. Ein besonders schöner Abschnitt verläuft im Kieler Süden.
Auf unseren Spaziergängen begegnen uns hin und wieder kleine grüne Pfeile an Verkehrsschildern oder Bäumen – zusammen mit der Aufschrift „R1“. Grund genug, einmal zu nachzuschauen, wie es um den Weg steht.
Wer auf der Internetseite der Landeshauptstadt Kiel (www.kiel.de) nach dem Rundweg sucht, wundert sich: Null relevante Treffer! Virtuell bekommen wir nur sechs herrliche „Naturpfade“ bildreich vorgestellt, von denen immerhin zwei in Kiel-Süd liegen. Vom R1 jedenfalls keine Spur.

Recherche bei den Ämtern
Anrufe bei der Stadtverwaltung offenbaren schnell, dass es wohl nicht so einfach wird, genauere Informationen zu bekommen. Wer ist zuständig, das Tiefbauamt, Grünflächenamt oder Stadtplanungsamt? Aber die angesprochenen Mitarbeiterinnen sind auf Zack. Schon bald liegt ein altes Faltblatt vor, das damals für einen kleinen DM-Betrag verkauft wurde. Im Vorwort findet der Stadtbaurat hoffnungsfrohe Worte über ein bald entstehendes Rad- und Wanderwegenetz in Kiel. Das Beste aber: Die Karte auf der Rückseite zeigt den Verlauf des ganzen etwa 60 km langen Weges.
Kurios, dass der Rundweg gar kein Rundweg ist, sondern erst rund wird, wenn wir das Ende in Mönkeberg per Fördedampfer mit dem Startpunkt in Schilksee verbinden.

Verbesserungswürdiger Zustand
Wer ist verantwortlich für die Instandhaltung der Beschilderung? Immerhin kleben an einigen Stellen einfache Plastikaufkleber, denen niemand besondere Langlebigkeit zutraut. Hin und wieder gibt es sogar frische Wegmarkierungen. Es ist also noch Leben in dem alten Projekt!
Bemerkenswert ist auch, dass manche dieser Wegmarkierungen an Stellen auftauchen, die weit ab vom ursprünglichen Verlauf angeklebt wurden. Ein erster „Wanderversuch“ in der Nähe eines solchen „deplatzierten“ grünen Pfeils zeigte aber, dass gar keine Folgemarkierungen auffindbar waren.

Suche nach dem grünen Pfeil
Die Kielerin Elke Weber hat sich für KIEL LOKAL mit dem Fahrrad auf den Weg gemacht, indem sie im Kieler Süden ein großes Stück des Weges probegeradelt ist. Der Rundweg R1 ist nämlich ausdrücklich auch ein Radwanderweg. So hat Elke Weber den GPX-Track heruntergeladen und weiß dadurch den genauen Verlauf. Das war auch nötig!
Am westlichen Rand Mettenhofs beginnt sie am Heidenberger Teich. Hier sollte der erste Wegweiser stehen, um dem Drammenweg nach Süden zu folgen. Aber Fehlanzeige! Auch in Gegenrichtung keine Wegweisung, kein Hinweis. Das gleiche wiederholt sich an der Überquerung des Skandinaviendamms.
Bald sollen die Bahngleise gequert werden. Auch hier keine Wegmarkierung. Dafür muss sie nun ihr Rad eine lange Holztreppe hoch- und wieder runter über die Brücke tragen. Eine Schieberampe steht hier leider nicht zur Verfügung. Elke Weber ist etwas frustriert: „Das ist kein Radwandern, sondern Radklettern.“ Zum Glück hat sie kein schweres E-Bike, sonst wäre an dieser Stelle Schluss gewesen. Kurz schweifen ihre Gedanken zu den Leuten mit Rollstuhl oder Kinderwagen, die wohl kaum die Schönheit der Landschaft jenseits des Gleises erblicken dürften.

Entlang des Nord-Ostsee-Wanderwegs
Dann fängt es an zu regnen. An der Rendsburger Landstraße angekommen, legt sie deshalb eine Pause am Hofladen Wittschap ein. Von grünen Pfeilen auch hier keine Spur, auch nicht am Ihlkatenweg. Ab der Autobahnunterführung kommen hier die gelben Pfeile des Nord-Ostsee-Wanderwegs. Die sind viel öfter sichtbar. Bis Schulensee folgen beide Wege derselben Trasse. Elke Weber kann sich also bequem auf die gelben Pfeile verlassen.
Einen grünen Pfeil findet sie doch noch im Wildgehege Hammer, während sich die Damhirsche wohl fragen, wonach diese Radfahrerin im strömenden Regen wohl sucht. Dann folgt sie der einzigen Wanderwegmarke an der Kuhfuhrtsau entlang. Dieser Bach entwässert fast das gesamte Seengebiet im Kieler Süden in die Eider und ist nach mehreren Regentagen über die Ufer getreten. Mit dem Fahrrad kein Problem. Zu Fuß wird es hier manchmal etwas feucht, wenn es noch mehr Regen gibt.
Gar nicht weit und Elke Weber erreicht einen ihrer Lieblingsplätze, die Sitzgruppe am Zusammenfluss mit der Eider. Bis zur Hamburger Chaussee wartet der Wanderweg mit fantastischem Naturerlebnis unmittelbar am Fluss auf. Doch Verlass ist nur auf die gelben Pfeile. Weitgehend aussichtslos dagegen die Fahndung nach den grünen vom R1. „Das kann doch nicht so schwer sein, ein paar Aufkleber auf Verkehrsschilder zu kleben“, wundert sich Elke Weber und hat auch schon die Lösung: „Da muss einfach mal jemand zwei Tage lang losfahren und alle Markierungen neu kleben. Das kostet nicht viel und schon ist der R1 wieder fit.“

Was ist mit „R2“ und „R3“?
„R1“ sieht nach dem Beginn einer Folge mehrerer Rundwege aus. So war es auch ursprünglich gedacht, doch niemand hat je einen „R2“ oder gar „R3“ zu Gesicht bekommen. Das soll sich aber ändern.
Vorher aber können wir nur hoffen, dass der R1 aufgewertet wird, indem fehlende oder verschlissene Wegmarkierungen erneuert werden. Vielleicht wird der Weg in ferner Zukunft sogar barrierefrei.

„Stadtgartenweg“ in konkreter Planung
Wir konnten erfahren, dass die Stadtverwaltung intensiv an einem weiteren Wanderweg arbeitet, dem sogenannten „Stadtgartenweg“. Er soll ab 2022 auf 45 Kilometer den Kieler Grüngürtel erschließen.
Aber kommt der nächste Weg womöglich, noch bevor der alte R1 wieder hergestellt ist? Wir haben die zuständige Stadträtin Doris Grondke gefragt. Doch die Strahlkraft des R1 ist offensichtlich schon verblasst. Die Stadträtin sieht zwar erheblichen Handlungsbedarf, kann aber nicht in Aussicht stellen, dass auch nur der minimale Aufwand einer provisorischen Instandsetzung der Wegweisung kommt, bevor der prestigeträchtige „Stadtgartenweg“ aus der Taufe gehoben wird. Und so geht eine weitere Wandersaison mit dem „lost place“ Rundweg R1 zu Ende. Es bleibt der Eindruck: Das Projekt wurde einst mit viel Tamtam und Steuergeld angeschoben – danach überlässt man es sich selbst. Stattdessen sonnen sich die Protagonisten in neuen Projekten, denen wohl möglich das gleiche Schicksal bevorsteht.

GPX-Track zum Rundweg R1
Vielleicht möchten Sie den über 60 Kilometer langen R1 selbst einmal bewandern, doch Sie haben die 30 Jahre alte Karte gerade nicht zur Hand? Der Kieler Verlag ProjektNord stellt den Track als GPX-Datei kostenlos zur Verfügung: www.projektnord.de/Verlag.html?file=R1.gpx
Der komplette R1-Verlauf ist aktuell nur im „Kieler Wanderatlas“ (ISBN 9783931099183) und in der Freizeitkarte 8 „Kiel-Plön“ (ISBN 9783891307281) eingezeichnet.

Text: Mollenhauer; Foto: ©Elke Weber