Christliche Schule Kiel in der Diesterwegstraße lädt zum politischen Diskurs
Politik, das ist etwas, was sich ganz oben abspielt, eine fremde Welt voller Feindseligkeit und Boshaftigkeit. Ich selbst habe keinen Einfluss darauf, was dort passiert. Es geschieht über meinen Kopf hinweg. In der Politik gibt es keine Freundschaft.
Das ist leider das, was der nachfolgenden Generation als Eindruck von der real existierenden parlamentarischen Demokratie täglich vermittelt wird, umso mehr, seit populistische Kräfte die Grenzen des Sagbaren immer weiter zum Inhumanen und Unsäglichen hin verschoben haben. Aber ist das wirklich so? Wie ticken sie wirklich, „die da oben“? Rund 50 Jugendliche aus den 9. und 10. Klassen der Christlichen Schule sind diesen Fragen auf den Grund gegangen und haben vier Abgeordneten des Kieler Landtags zwei Stunden lang auf den Zahn gefühlt.
Erfolgreiches Dialogkonzept
Seit 2017 dürfen schon Sechzehnjährige bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein ihre Stimme abgeben. Was aber tun mit der plötzlichen Verantwortung? Ein Gesprächsfaden muss geknüpft werden zwischen denen, die Politik repräsentieren, und Schülerinnen und Schülern, die demnächst darüber entscheiden, wer zukünftig das Sagen haben soll.
Das Format stammt von „Dialog P“, einem politischen Bildungsverein aus Berlin. Schulen können sich dort bewerben. Ziel ist es, auf Augenhöhe mit Persönlichkeiten aus der Politik Themen zu diskutieren, die die Jugendlichen bewegen, sich zu artikulieren und herauszuarbeiten, wie politische Prozesse und Mehrheitsfindung funktionieren. Es funktioniert nach dem Prinzip des Speed-Datings. Die Abgeordneten werden im Zehnminutentakt durch mehrere Schülergruppen rotiert und müssen dort jeweils zu den festgelegten Themen Rede und Antwort stehen.
Jedes Thema wurde von einer Schülerin oder einem Schüler federführend betreut. Es ging um so unterschiedliche Fragen wie härtere Strafen für Randale, kostenlose Abgabe von Hygieneartikeln, Digitalisierung der Schule, bessere Anreize für Pflegeberufe und Sanktionierung von Beziehern staatlicher Transferleistungen bei Arbeitsverweigerung. Diese Themen wurden präsentiert von Jan-Paul, Sabrina, Kimberly, Melad und Niklas. Die Berichterstattung für die Schülerzeitung lag in den Händen von Cian und Leonardo. Der WiPo-Lehrer Herr Lassen führte mit einer Schülerin durch das Programm.
Parteigrenzen lösen sich auf
Unterrichtsbegleitend war als Vorbereitung einiges an politischen Hintergrundinformationen im WiPo-Unterricht erarbeitet worden. Zu der Veranstaltung selbst sind Landtagsabgeordnete von vier demokratischen Parteien erschienen. Die SPD schickte Serpil Midyatli, von der CDU kam Kristina Herbst, Heiner Garg repräsentierte die FDP und von den Grünen hatte sich Jan Kürschner eingefunden. Doch schnell verschwammen die Parteigrenzen und die Menschen traten in den Vordergrund. Schon vor dem Schultor erledigte sich das erste Vorurteil. Es ist eben nicht so, dass in der Politik ein ständiges Hauen und Stechen herrschen würde. Ganz im Gegenteil. Nach und nach trafen die geladenen Gäste ein, begrüßten einander herzlich mit „Ah, du auch heute hier!“ und nahmen sich zur Begrüßung in den Arm. Das überraschte die Demokratie-Neulinge doch etwas, weil sie aus der Politik einen eher rauen und abschreckenden Ton gewohnt waren. Erster Pluspunkt für die Polit-Profis.
Informative Diskussion
Es sollten noch weitere Pluspunkte folgen. In fünf Tischrunden erwiesen sich die Damen und Herren aus den Landtagsfraktionen denn auch als sehr diskussionsfreudig und nahbar. Besonders wertvoll: Sie konnten aus erster Hand über das politische Geschehen berichten, Missverständnisse aufklären und Dinge verständlich erläutern. Nach der ersten Aufregung und nachdem sich die Jugendlichen zunächst abwartend, aber durchaus gespannt gezeigt hatten, wurden die Gespräche nach und nach immer entspannter und damit auch produktiver. Heiner Garg als derjenige Politiker mit dem höchsten Altersabstand zeigte sich zwischen zwei Diskussionstischen sehr erfreut über die Dialogfreude und die generationsübergreifende Sachlichkeit im gemeinsamen Gespräch – und schon war er zum nächsten Tisch entschwunden.
Politikverdrossenheit bekämpfen
Schon nach den ersten Gesprächsrunden waren sich die Schülerinnen und Schüler durchaus ihrer Rolle als wichtigstes Element in der Demokratie bewusst, jedoch hatten die meisten noch keine festgefügte politische Position eingenommen. Auf jeden Fall hat diese Veranstaltung bei den 14- bis 17-Jährigen ein realistischeres Gespür hervorgebracht, was Politik ist, wie sie funktioniert und dass sie selbst eine Hauptrolle darin spielen. Und so erhoffen sich die Entwickler des Formates „Dialog P“, der allgegenwärtigen Politikverdrossenheit etwas Starkes entgegenzusetzen, junge Menschen für politischen Diskurs zu begeistern und das Interesse am Gemeinwesen zu stärken.
Es zeigt sich immer wieder: Verdruss über die Politik hängt stark mit fehlender Informiertheit zusammen. Politische Bildungsarbeit erweist sich als hochwirksames Gegenmittel.
Alle Seiten haben dazugelernt
Den Jugendlichen war es sehr wichtig, dass sie in ihren Anliegen tatsächlich ernst genommen wurden, die Politik ihnen auf Augenhöhe begegnet. Sie merkten sehr positiv an, dass ihre Gesprächspartner aus der Politik durchaus eigene Aspekte in die Diskussion einbringen konnten und sich über die Themen der Jugend sehr wohl informiert zeigten, aber auch, dass ihre eigenen Argumente ernst genommen wurden.
Dieses Format hat den Jugendlichen offensichtlich gefallen und auch die Gäste aus der Politik waren mit wachsender Begeisterung dabei. So manches Vorurteil ist dabei auf der Strecke geblieben. Die Jugendlichen würden weitere so positive Erlebnisse mit der Politik sehr zu schätzen wissen. JM