KIEL LOKAL war bei einem der interessantesten Vereine im Stadtteil zu Gast, dem Modelleisenbahn-Club in der Pestalozzistraße 79. Was dort in der ehemaligen Fernmeldebaracke auf die Besucherinnen und Besucher wartet, ist sehenswert.
Bevor das Smartphone seinen Siegeszug als allumfassendes Spielzeug für Groß und Klein antrat, gab es kaum etwas, was die Augen der Kinder und auch der Erwachsenen – vor allem der Väter – so zum Leuchten brachte wie eine Modelleisenbahn. Andere Hobbys haben derweil die Jugend erfasst, doch im Bereich moderner Mikroelektronik sind nur die wenigsten „Nachwuchskräfte“ unterwegs, obwohl gerade hier wichtige Weichen für die Zukunft gestellt werden. Waren es früher die eingefleischten Fans der Kategorie „Löt und Schraub“, so wird heute viel mehr in die Computertasten gehauen.
Doch es gibt sie noch, die Eisenbahnenthusiasten, und auch die Herstellerseite gibt sich fortschrittlich wie nie. So lassen sich längst die Welten von Eisenbahn, Computer und Smartphone miteinander verbinden. Doch handwerkliches Geschick und technischer Verstand werden nach wie vor benötigt in der Miniaturwelt der brizzelnden Litzen und flackernden Innenbeleuchtungen.
Heute wie damals ist es für die schmale Taschengeldkasse praktisch unerschwinglich, sich einen nennenswerten Fuhrpark an Loks und Waggons, geschweige denn eine zimmerfüllende Eisenbahnanlage zuzulegen. So bleiben die meisten Modellbahnen buchstäblich in den Kinderschuhen stecken. Auf so manchem Dachboden dämmert ein aufgegebenes Modellbahnhobby vor sich hin. Wer dennoch höher hinaus will, muss ein Vermögen investieren. Eine Option einer wirklich großen Anlage ist die Mitgliedschaft im Modellbahnclub.
Das war es auch, was die Mini-Eisenbahner Mitte des vergangenen Jahrhunderts angetrieben hat, auch wenn praktisch jedes heutige Mitglied mittlerweile auch noch eine eigene Eisenbahn oder wenigstens einige Züge besitzt.
Es kann sich sehen lassen, was der MEC in den Jahrzehnten aufgebaut hat. Raumgreifendes Herzstück ist nach wie vor die große analoge H0-Anlage, die mit rund 1.000 Metern Schienen und ca. 250 Weichen den Löwenanteil des Raumes im Vereinsheim einnimmt.
An Schautagen bringen die Mitglieder ihre Züge mit und dann dreht alles seine Runden, was auf die Schienen passt – bis an die Grenzen des technisch Möglichen. Diese Anlage besteht seit über 30 Jahren, in Teilen sogar noch länger. Doch es gibt eine große kleine Schwester, die sich nicht verstecken muss!
Spur N-Anlage erstmals im Vereinsheim zu besichtigen
Dass die Mitglieder des MEC durchaus nicht eingleisig fahren, wird auch daran deutlich, dass eingefahrene Wege bisweilen verlassen werden. Das historische Hauptanliegen des Vereins ist die große H0-Anlage.
Doch Vereinsmitglied Dieter Meetz kann seit über 30 Jahren seinem ganz speziellen Hobby frönen, einer riesigen Spur N-Anlage. Die Spur N ist mit 9 mm Spurweite nur gut halb so groß wie die Spur H0. Folglich kann auf einer gleich großen Fläche mehr als das Dreifache an Modellbahnlandschaft und Gleisen untergebracht werden. Unter diesem Aspekt ist die neue Spur N-Anlage mit 15 Metern Länge schon ziemlich spektakulär.
Meetz´ Credo lautet: „Lange Züge langsam fahren lassen.“ Das ist wörtlich zu nehmen. Vier Lokomotiven zuckeln gemächlich vor einem acht Meter langen Zug durch eine nordamerikanische Landschaft. 100 Waggons zieht diese Traktion und lässt das Herz jedes Hobbyeisenbahners einen Takt schneller schlagen. Bei aller Faszination fallen auf den ersten Blick die „Fremdlinge“ gar nicht auf: Deutsche Personenzüge in der Prärie. Sie sind ausnahmsweise auf dieser Anlage zu Gast, weil eine andere Anlage dieser Spurweite nicht vorhanden ist.
Und noch mehr gibt es über dieses Miniaturland zu berichten: Die Bahnhofshalle ist ein Nachbau des einstigen Chicagoer Hauptbahnhofs. Ihr Abriss führte in den USA zum ersten Mal dazu, dass die Menschen sich Gedanken über den Denkmalschutz von Gebäuden machten. Für die Halle kam das zu spät. Sie gibt es jetzt nur noch im Maßstab 1:160, in Kiel, in der Pestalozzistraße.
Die drei roten Hochhäuser auf dieser Anlage gab es einst von einem Architekten geschenkt. Im Original stehen sie am Kieler Ostufer, nun zieren sie den Stadtrand von Chicago – und wirken geradezu winzig im Vergleich um berühmten Willis-Tower, der die Anlage dominiert. Der Wolkenkratzer (im Original über 500 Meter hoch) passte nicht maßstabsgerecht in das MEC-Clubhaus. Wäre es nicht gehörig geschrumpft worden, dann würde es durch die Decke ragen Neben den Hochhäusern ist eine endlose Landschaft angedeutet.
Der amerikanische Stil mit endlosen Zügen unterstreicht die Weitläufigkeit noch. Die Aktiven des MEC sind auf diese Anlage besonders stolz und möchten sie gerne erstmals einem breiten Publikum vorstellen.
Dadurch, dass die Anlage in Modulbauweise erstellt wurde, kann sie zerlegt und in verschiedener Größe aufgebaut werden. So ist es möglich, sie auch auf weiter entfernten Ausstellungen zu präsentieren.
Meetz hat Jahrzehnte seiner Freizeit in diese Landschaft investiert. Nun überlegt er, ob er noch ein weiteres Projekt anpacken soll. Ihn reizt die Epoche der Länderbahnen. Er würde gerne einen alten Grenzbahnhof zwischen Thüringen und Bayern wieder auferstehen lassen, mit originalgetreuen Loks, Wagen und Gebäuden – in Spur N versteht sich. „Das wird ein größeres Vorhaben, ich muss damit bald anfangen.“ Alleine ist das wohl nicht zu stemmen. Vielleicht eine Herausforderung für den „N-thusiastischen“ Nachwuchs?
Finanzlage wird kritisch
Jürgen Mißfeldt ist eins der ältesten Mitglieder. Er hat den MEC mit allen Höhen und Tiefen erlebt, doch sobald das Gespräch auf die Finanzen kommt, verdüstert sich seine Miene. „Wenn die Strom- und Heizkosten wie vorausgesagt steigen, dann sehe ich ganz schwarz für uns. Der Verein hat nur noch 28 zahlende Mitglieder, von denen die Hälfte schon sehr alt ist und teilweise nicht mehr im Raum Kiel lebt. Allein schon, um einen Besuchstag zu bewältigen, reichen die personellen Kapazitäten kaum mehr aus. Es wird keinen Verkauf von Gebrauchtteilen mehr geben und an einen Kaffeeausschank ist ebenfalls nicht zu denken.
„Andererseits leben in Hassee Menschen, die noch nie etwas vom MEC gehört haben“, meint Mißfeldt. „Die wollen wir erreichen. Darum ist es uns wichtig, dass wir im Oktober wieder Besuchstage machen können.“ Die Aktiven des MEC wünschen sich eine rege Teilnahme an den vier Tagen der offenen Tür. „Wenn es genug Zuspruch gibt, können wir auch wieder über die vor Corona so beliebten Besuchstage zu Weihnachten nachdenken.“
Verein sucht Nachwuchs
Nur noch wenige Protagonisten der frühen Jahre sind dem Aktivenkreis des Eisenbahnclubs erhalten geblieben. Nach 65 Jahren sind auch die längstgedienten Modellbahner schon viele Jahre im Ruhestand. Sie alle treibt die Sorge um: Was wird mit unserem Verein? Wer kümmert sich in Zukunft um die Anlagen und den Fuhrpark?
Wegen der Corona-Pandemie mussten leider in den vergangenen beiden Jahren alle Besuchstermine abgesagt werden, eine verheerende Situation für einen Verein, der auf öffentliche Wahrnehmung und Eintrittsgelder angewiesen ist. Während der Pandemie wurden die Aktiven selbstverständlich nicht müde, weiter ihre Anlagen in Schuss zu halten. Aber keine Besuchstage – kein Nachwuchs. Kein Nachwuchs – kein MEC!
Für den MEC wird es nun überlebenswichtig, dass junge Mädchen und Jungen, die die kleinen Eisenbahnen lieben, auf den Verein aufmerksam werden und neben Spaß am Basteln sich auch für Elektronik, Signaltechnik und spannende Modelllandschaften begeistern.
Dann gelingt der Übergang in eine neue Generation mit vielen interessanten technischen Herausforderungen. Und wer weiß, vielleicht erweisen sich die hier erworbenen Kompetenzen eines Tages nützlich bei Studium und Berufswahl.
Wer sich angesprochen fühlt, kann mittwochs ab 15 Uhr dazustoßen, wenn geschraubt und gelötet, gefachsimpelt und natürlich gefahren wird. Apropos Fahren: Natürlich ist das Schönste an der Modellbahn der laufende Betrieb. An jedem ersten Mittwoch im Monat lassen die großen Spielkinder fahren, was das Zeug hält.
Vier Besuchstage im Oktober
Nun ist alles bereitet für die ersten Besuchstage, an denen die Interessierten in eine faszinierende Miniaturwelt eintauchen und sich von den beiden großen Eisenbahnanlagen verzaubern lassen können.
Der Modelleisenbahnclub lädt zu vier Besuchstagen in die Pestalozzistraße 79. Am Samstag und Sonntag, dem 8. und 9. Oktober, sowie am 15. und 16. Oktober ist jeweils von 13–17 Uhr geöffnet.JM